Martin Wallner

China, Gedenkdienst 2006

Der Gedenkdienst wird formell Zivilersatzdienst im Ausland genannt, aber ich habe ihn immer als Wehrpflicht-Ersatzdienst gesehen. Bei der Wehrpflicht geht es darum, dass wir als Gesellschaft im Ernstfall zusammenhalten müssen, um unser Leben und Werte zu verteidigen. Aus der Vergangenheit wissen wir, dass es daher notwendig ist sich vorbereiten und zu üben, immer in der Hoffnung, dass es nie wieder zum Ernstfall kommt. Österreich hat mit der Täterschaft im Holocaust eine besondere Verantwortung und die Erinnerungsarbeit schafft einen wichtigen Beitrag für die Sicherheit zukünftiger Generationen.

Ich wollte als Jugendlicher grundsätzlich zum Bundesheer gehen und vielleicht sogar den Einjährig-Freiwilligen Pfad einschlagen. Bei der Musterung wurde mir aber erklärt, dass ich wegen eines Kreuzbandrisses, den ich vor Jahren durch einen Skiunfall hatte, nicht in die Einheit gehen konnte, die ich mir gewünscht hatte. Das Heer drängte auf eine Operation, aber das fand ich damals wie heute nicht notwendig und es war tatsächlich bis jetzt – also selbst 20 Jahre später und trotz sehr aktiven und sportlichen Lebens – auch kein Problem.

So hab ich mich nach Alternativen umgesehen und ich hatte einen Freund, der seinen Auslandsdienst in Israel gemacht hat. Es gibt viele tolle Zivildienststellen, aber es war für mich wie gesagt nie eine Option. Die Idee eines Gedenkdienstes als Ersatz für den Militärdienst hat mich hingegen sehr angesprochen und ich fand es wichtig für Österreich und spannend für meine persönliche Entwicklung. Durch ein Austauschschuljahr in den USA hatte ich schon ein bisschen einen Blick von außen auf unser Land und unsere Geschichte und somit habe ich mich mit dem Thema stärker beschäftigt.

Ursprünglich wollte ich daher auch nach Israel, nach Yad Vashem in Jerusalem, aber dann habe ich von der Idee einer Gedenkdienststelle am Zentrum für Jüdische Studien in Schanghai erfahren. Dazu gab es schon Vorarbeiten durch Michael Prochazka und andere also kam es dazu, dass mich dazu entschieden, die Stelle fertig aufzubauen und als 1. Gedenkdiener dort zu dienen.

Ich bin unendlich dankbar für die Zeit, die ich in China verbringen durfte. Die Kolleg*innen am Zentrum für Jüdische Studien haben mich sehr herzlich aufgenommen, sehr viel Verantwortung übertragen und in die Arbeit des Instituts integriert. Ich half unter anderem bei der Organisation von Konferenzen und Treffen von Holocaust-Überlebenden, im Archiv, bei Führungen sowie durch Übersetzungsarbeit. Es war eine unglaublich bereichernde Zeit.

Auch die Zusammenarbeit mit den österreichischen Vertretungsbehörden in Beijing und Shanghai waren exzellent und ich habe sehr viel Unterstützung für meine Tätigkeit bekommen. Der Auslandsdienst ist ein Thema, das geholfen hat unsere Gesellschaften abseits von Wirtschaft und Politik näher zu bringen. Ich habe sogar nach meinem Auslandsdienst als Kulturreferent am Generalkonsulat gearbeitet.

Das ist es auch was für mich den Auslandsdienst ausmacht: als Wehrpflicht-Ersatzdienst macht es Österreich stärker in der Welt und es ist damit eine gute Investition für unser Land aber es ist genauso eine immense persönliche Erfahrung für den einzelnen Auslandsdiener.

Nach meiner Zeit in Shanghai hatte ich das Glück, dass ich an der Harvard University aufgenommen wurde. Einer der Hauptgründe für meine erfolgreiche Aufnahme war ohne Zweifel mein Gedenkdienst in Shanghai, weil Top Unis immer nach interessanten und einzigartigen Erfahrungen von Bewerber*innen suchen.

Nach dem Studium habe ich mich ins Unternehmertum geworfen und habe ein E-Commerce Unternehmen gegründet und danach hat es mich zurück in die USA verschlagen, wo ich zuerst in San Francisco und jetzt in Austin, Texas an diversen Start-ups gearbeitet habe, allen voran Macro.House, ein Co-Living Konzept.